Post by Torsten MuellerIrgendwie heuchlerisch erscheinen mir Artikel [1][2], die jetzt genau
in der Journaille auftauchen, die gerade gestern noch selber ganz
munter jede Menge Scheiss breitgetreten hat ... Die Glaubwuerdigkeit der
vorhandenen Informationskanaele sei erschuettert, Bloggern wuerde man
schon eher noch glauben als offiziellen Stellen, Politikern oder gar
einer der Konfliktparteien. Der Krieg sei also - Achtung! jetzt
Megaueberraschung - ein richtiger Propagandakrieg! Ja, was? Echt jetz?
Man will etwas Einfaches kompliziert machen.
Das Einfache zuerst: Georgien ist der Aggressor.
Zwischen Georgien, Russland und Suedossetien bzw, Georgien besteht seit
ueber zehn Jahren ein Waffenstillstandsvertrag. Dieser ist durch den
Sicherheitsrat abgesegnet. Der georgische Praesident ignoriert das
und greift Suedossetien auf unbekannter innergeorgischer Rechtsgrundlage,
aber medienwirksam zum Beginn der Olympischen Spiele an. Russland
schlaegt die Aggression zurueck und stellt die Grenzen wieder her,
wobei ein paar im wesentlichen militaerische Ziele in Georgien
angegriffen werden. Georgien bietet schon vorher einen neuen
Waffenstillstand an. Der Westen wartet, bis auch Russland Ruhe gibt,
um dann "bis hierher und nicht weiter zu rufen".
Waehrenddessen malt die Presse der freien Welt ein gleichgeschaltetes
Bild, in dem Russland, personifiziert durch Putin, der Chefboese ist.
Und das geht nur, wenn man die Sache kompliziert bis falsch darstellt.
Aber es ist sehr wichtig, das zu tun, denn eine systematische Fehlbe-
richterstattung ueber Russland ist Pflicht, seitdem Putin westliche
Energiekonzerne daran gehindert hat, Gewinne in Russland einzustreichen.
Deswegen eine Rueckblende. Georgien liegt am Kaukasus, und gegenueber
dem Kaukasus soll der Balkan uebersichtlich, menschenfreundlich und
wertvoll sein. Allerdings gibt es um den Balkan rum kein Oel, doch um
den Kaukasus schon, wobei dieses Oel durch Pipelines ueber den Kaukasus
fliesst.
Als sich nun Georgien aus der Konkursmasse der Sowjetunion loeste,
war es praktisch, gemaess der alten Strategie "Teile und herrsche"
Nationalitaetenkonflikte zu betonen. Russland hat diese Karte eifrig
gespielt, aber es war nicht einzige Macht, die das tat. In der Folge
entdeckten jedenfalls Abchasen und (Sued)Osseten, dass sie keine
Georgier sein wollten, was nach einigen unschoenen Vorgaengen zu
obigem Waffenstillstand mit Russland als Friedensmacht fuehrte. Gewiss,
so ganz freiwillig hat sich Georgien nicht darauf eingelassen, aber
der Rest der Welt nickte damals. Ausserdem brannte es an anderen
Stellen viel heftiger, was umfangreiche ethnische Loescharbeiten nach
sich zog.
Dann vergehen zehn Jahre. In Georgien herrscht unser alter bekannter
Schewardnadse, und er vertut seine Lebenszeit weder mit Rechtsstaatlichkeit
noch mit Unbestechlichkeit. Es kommt zur Revolution, die nach
inzwischen bekannten Mustern unter Beteiligung der westlichen Medien
ablaeuft. Die Bilder, wie das Volk in das Parlament eindringt, weil
Schewardnadse es nicht ueber sich brachte, auf selbiges schiessen zu
lassen, waren tatsaechlich gut.
Anschliessend wird ein proamerikanischer Kandidat mit dem Ostblockergebnis
von 96% in zweifellos - wer wuerde etwas so Schoenes schmaelern wollen?
- freien Wahlen gewaehlt. Danach freilich laesst er keine Wahlen mehr
zwischen sich und sein Volk kommen, und das mit der Korruption, so
sein Wahlversprechen, wird er auch in die eigene Hand nehmen. Zur
Anerkennung pumpen die USA Waffen sowie Militaerberater und die EU Geld
in das schoene Land. Saakaschwili, so der Name des georgischen Praesidenten,
multipliziert wie sein grosses Vorbild George Bush sein Vermoegen waehrend
der Amtszeit*. Georgien liegt auf Platz 14 (von 145) der korruptesten
Laender. Doch, waehrend an der Aufnahme Georgiens in die Nato gestrickt
wird, vermehrt sich in diesem, fraglos unwissenden, georgischen Volk,
der Unmut ueber die Amtsfuehrung. Irgendwie reicht ihnen nicht, dass
Saakaschwili westlichen Medien Trachtengruppen vorfuehrt. Minister
stimmen in die Kakophonie ein, indem sie sich darueber beschweren,
dass ihr Praesident Auftragsmorde von ihnen verlangt. Dann verlassen
sie das Land, aber nicht, weil ihnen ihr Leben lieb ist, sondern
gewiss deswegen, weil es sich um notorische Verraeter handelt.
*Deine und meine Steuergelder, lieber Leser, geneigte Leserin
So kommt es zu Unruhen. Und ebenso wie die westlichen Medien bei der
Rosenrevolution in der ersten Reihe dabei waren, glaenzen sie diesmal
durch Abwesenheit (um sich zum Ossetienkrieg wiedereinzustellen - ein
niederlaendischer Reporter wurde durch russische Einwirkung getoetet,
nicht auszudenken, ein Reporter!). Das ist sicher besser so, denn die
Bilder, wie von den USA ausgebildete Sondereinheiten auf das Volk
schiessen, waren aesthetisch minderwertig. Ebensolches galt fuer
den Sturm auf einen Fernsehsender, der mehrheitlich einem russischen
Agenten namens Rupert Murdoch gehoert (doch hat sich die EU da zum
Gueck beschwert - was ist noch heilig, wenn nicht das Eigentum
westlicher Mediengiganten?). Ausserdem hat Saakaschwili seinen
Machiavelli gut gelesen, denn er verspricht Wahlen binnen kuerzester
Frist, bevor sich die Opposition formieren kann - und hakt damit gleich
das Demokratiedogma seiner neokonservativen Mentoren ab. Die Wahl geht
fuer die Opposition verloren, was aber, wie westliche Beobachter
bezeugen, nicht ausschliesslich daran lag, dass Saakaschwili gewisse
Gepflogenheiten nicht einhalten wollte.
In den Wahlen hatte der Gute viele Versprechen gemacht. Die Korruption
hatten wir schon. Und Natonalismus, was Abchasien und Ossetien angeht,
durfte nicht fehlen. Ein paar Monate vergehen. Saaksachwili steht das
Wasser bis zum Hals. Die Bevoelkerung partizipiert nicht an den EU-
Milliarden, und sein Schutzherr in Washington muss bald abtreten. Aus
der Aufnahme in die NATO wurde ebenfalls nichts. Also greift er russische
Truppen in Suedossetien an, um Aufmerksamkeit und Reaktionen zu erzwingen.
Russland laesst sich das nicht bieten, und die Grenzen bewegen sich nicht.
Ta-dah.
Waehrenddessen zerreisst sich die westliche Presse das Maul. Die
Worte Georgien und Aggressor tauchen nie in einem Satz auf. Doch
als Russland Verstaerkungen nach Suedossetien schickt, kommentiert
insbesondere die amikanische Presse das als Einmarsch in Georgien.
Formal ist das auf irgendeiner Ebene richtig, denn Suedossetien
ist Georgien, doch darf Russland sich dort als Friedensmacht
ausdruecklich aufhalten. Es ist Propaganda. Das, was ich als Kind
bekam, wenn ich Ostsender sah. Nur war es damals das menschen-
verachtende kommunistische System, das sowas tat. Und jetzt sind
wir es.
Dass der Spiegel den Georgier Stalin zum Osseten befoerdert und
rassistische Bemerkungen ueber Osseten medienfaehig macht, hat
eine mir neue Qualitaet.
Ich nehme an, dass Ihr die Nachrichten verfolgt hat. Natuerlich ist
Russland in Wahrung seiner Interessen in Ossetien. Das nennt sich
Politik. Russland hat das nicht erfunden, und seine Rolle in diesem
Film ist austauschbar, denn jeder andere haette auch zurueckgeschlagen.
Stattdessen wird Russland das Boesestmoegliche unterstellt und
unterschwellig so getan, als ob Putin* der Aggressor waere. Denn
die armen Georgier wissen sich gegen die russische Uebermacht nicht
anders zu wehren. Bedrohungsszenarien, wonach Russland praktisch
schon in Tiflis einmarschierte, wurden als Tatsachen verkauft, und
jede Bombe, die auf georgischem Boden einschlug, wurde es als Beleg
fuer imperialistische Tendenzen genommen. Dabei waere es lustig gewesen,
sich auszumalen, was passiert waere, wenn Georgien gemaess dem Willen
Bushs schon Natomitglied waere.
*NB nicht der russische Praesident, aber die Wunde sitzt tief, die
er schlug.
Ausserdem taucht ein neues Phaenomen auf - Krieg 2.0. Weil das
Interesse im Westen bemerkenswert gering ist, wird versucht, den
Krieg als Thema schmackhaft zu machen, indem man als Blogger an
ihm teilnehmen kann. Auch Du darfst eine Meinung haben!
Obwohl ich Vertreter der Blogfreien bin, wurde mir von Naivlingen
angetragen, doch meine freie Meinung, die selbverstaendlich gegen
Russland sei, solcherart zu verbreiten. Meine Frage, wo denn die
Abteilung gegen Saakaschwili waere, wurde mit erheblicher Irritation
quittiert. Sie war nicht vorgesehen.
Post by Torsten MuellerPhsenomen Nr.2: In den ersten Stunden gab es eine vergleichsweise hohe
Anzahl Bilder. Diese ging in den folgenden Tagen stark zurueck. Statt
dessen zeigt man immer und immer wieder dieselben Bilder. Warum?
Bilder sind wichtiger als Texte. Deswegen erschienen in den ersten
Stunden Bilder, die Georgier mit offenem Gesicht im Zustand der
Gefuehle darstellten, wohingegen Russen vorzugsweise als gesichtslose
Bedrohung in Panzern auftraten.
Diese Maschinenmenschen sind noch schlimmer als Osseten!
Benedikt